Jürgen

Löhle

Freier Journalist


Normale Härte

Je älter man wird, desto weniger wundert man sich über den Wahnsinn, der um einen herum tobt. Trotzdem bleiben genug Geschichten und Begebenheiten die man noch ein bisschen einordnen oder zuspitzen kann – am besten in einem Blog.

Anti-Doping-Chance vergeigt

August 19, 2014, Jürgen Löhle0 Kommentare
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Kein Bild zum Text, nur einfach hübsch. Eikätscher eben.

Der gemeine deutsche Sportfunktionär betont ja seit Jahren, dass  Doping abscheulich sei, unfair, unethisch und überhaupt. Das ist natürlich sehr löblich, nur sollten sich die auf Funktionärsebene salbungsvollen Kämpfer für einen sauberen Sport dann auch so verhalten. Tun sie aber nicht. Jüngstes Beispiel – die Schwimm-Europameiserschaften in Berlin. Dort endete der erste Wettkampftag im Becken am Montag traditionell mit den 4 x 100 Meter Freistilstaffeln der Männer und Frauen. Viele waren am Start auch Litauen und Israel zum Beispiel, Deutschland aber nicht, obwohl die Frauen vor zwei Jahren sogar den Titel gewonnen haben. Der Grund: Nicht konkurrenzfähig, keine Meldung.

Das stimmt, nach Britta Steffens Rücktritt und Paul Biedermanns Staffel-Verzicht hätte es tatsächlich nicht für eine Medaille gereicht. Weder bei den Frauen noch bei den Männern. Wer aber ernsthaft  gegen den Druck des Dopings angehen will, der muss eben auch Athleten starten lassen, die nicht um eine Medaille kämpfen können. Vor allem bei Heimwettkämpfen und gerade auch in Sportarten, in der es mehr als ein Gerücht ist, dass es ganz nach vorne ohne Chemie eher nicht geht.

Was hätte sich der DSV vergeben, einfach die besten vier der Rangliste schwimmen zu lassen?  Nichts, denke ich. Im Gegenteil: Man hätte den Athleten das Gefühl gegeben, auch ohne Medaillenchance würdig für die Nationalmannschaft zu sein. Nur so wird auch eine Anti-Doping-Haltung auf Funktionärsebene glaubhaft. Noch einmal – im Wasser geht ganz vorne mutmaßlich wenig ohne Chemie, die schwimmen jetzt ohne Anzüge schon wieder in dem Bereich, wie vor ein paar Jahren mit.

Zum Schluss zur Einschätzung der Dopinglage im Schwimmsport ein hübscher Satz aus dem Jahr 2013 aus der Süddeutschen Zeitung:  „Andrew Pipe, der oberste Dopingjäger des Schwimm-Weltverbandes  Fina, wirkt wie ein Polizeidirektor, der glaubt, dass das Verbrechen gar nicht existiert.“

Unsere Funktionäre, die kein Doping und gleichzeitig Spitzenleistungen in belasteten Sportarten fordern, sind auch so drauf.

 

 

Ungewöhnliche Sparmaßnahmen . . .

August 15, 2014, Jürgen Löhle1 Kommentar
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So schön, so leer – das hat eben seinen Preis, gell.

. . .  in einem Sommer,  der keiner mehr ist: Nachdem ich mich wochenlang diebisch darüber freuen  konnte, dass mein favorisiertes Freibad trotz halbwegs passablem Wetter immer so gut wie leer war, trifft mich jetzt eine kommunale Sparmaßnahme hart. Ich darf von sofort an als Dauerkarteninhaber nur noch dann wie gewohnt ungestreift ins Bädle, wenn ich mindestens drei voll zahlende  Gäste mitbringe. Ansonsten muss ich entweder ganz normal Eintritt zahlen oder 30 Minuten beim Reinigen der Sanitäranlagen helfen. Im Gegenzug bekomme ich für mindestens sechs zahlende Gäste im Schlepptau als Belohnung einen Berechtigungsschein, mit dem ich für  eine Eintrittskarte für eine Aufführung im Großen Haus 2017 bewerben darf.

Die Maßnahme ist Teil eines Sparpakets, das die Stadt im Vorgriff auf astronomische Kostensteigerung in der Zukunft geschnürt hat. Ursache dafür ist ein Artikel in der „Stuttgarter Zeitung“ über die olympischen Anlagen in Athen zehn Jahre nach den Spielen. Die verfallen nämlich gerade und dürfen qua Gesetz auch nicht mit öffentlichen Mitteln saniert werden, weil sie teilweise illegal errichtet worden sind.

Nun hat ein Schlaule im Rathaus festgestellt, dass das deutsche und das griechische Baurecht offenbar aus derselben korrupten Quelle stammen. Also wappnet man sich jetzt schon, zusammen mit dem Land für aberwitzige Kohle ab 2020 ein Tiefbahnhof vermodern zu lassen, weil man ihn teilweise illegal gebaut hat und ihn damit nicht nur fürderhin nicht pflegen darf, sondern auch noch überirdische Ersatzlösungen mitfinanzieren muss.

So gesehen leiste ich natürlich gerne meinen Sparbeitrag. Da bei dem Scheißwetter heute aber sicher keiner mit mir schwimmen geht, putze ich halt ein bisschen die Umkleide.

Wir bauen für Sie . . . bis 2020

August 11, 2014, Jürgen Löhle1 Kommentar
Ein Schild als Drohung

Ein Schild als Drohung

Zunächst einmal – für mich bauen die nicht, mir hätte der bisherige Bahnhof mir einem etwas hübscheren Dach locker gereicht. Aber unabhängig davon, ob man S 21 nun mag oder nicht – langsam wird klar, was da so alles auf uns zurollt,  besser gesagt, zustaut.

Wir bauen für Sie  bis 2020 – fängt jetzt in verkehrsarmen Ferienzeiten ziemlich unaufgeregt an. Auf der König Karls Brücke wird es stadteinwärts aber plötzlich einspurig. Diese Strecke ist schon zu Zeiten, wenn nicht die halbe Stadt  in Ferien ist, ein böses Nadelöhr. Jetzt geht das geheiligte Blech noch halbwegs durch, aber ab 15. September, Wort drauf, stauen sie sie sich hier bis rauf nach Fellbach. Und das jeden Morgen.

Wir bauen für Sie  bis 2020 – wird auch noch andere, gerade noch halbwegs befahrbare Straßen rund um Bahnhof, Unterer Schlossgarten, Prag und Wilhelma  in Dauerstauregionen umwandeln. Aber gut sind ja nur sechs Jahre,

Wir bauen für Sie  bis 2020 – was höre ich, umsteigen auf Rad und Bus und Bahn. Gut, Rad ist im Sommer schon ok, wenn man die Schleifen rund ums Leuze unfallfrei schafft und im Schlossgarten nicht von der neuen Spezies der E-Bike-Rambos  im Business-Anzügle über den Haufen gemäht wird. Der Bus steht künftig auch im Stau und Bahn ist ja nett, aber man sollte künftig nicht versuchen, von der Staatsgalerie an den Bahnhof unterirdisch zu kommen.  Wir bauen für Sie  bis 2020, das heißt da werden auch jahrelang Verbindungen gekappt.

Und ich wage eine Prognose: Das wohl kaum zu vermeidende Verkehrschaos nach den Ferien wird sicher manchen ziemlich auf die Nerven gehen, die den Tiefbahnhof eigentlich für einen großen Segen für die Stadt halten. Aber Stau auf dem Weg ins Gschäft – das mag dann doch keiner. Aber gemach Leute, sind ja nur sechs Jahre, dann läuft es wieder. Vielleicht.

Wir bauen für Sie  bis 2020 – ich befürchte auch.

Fasten und Sport – keine gute Idee

August 5, 2014, Jürgen Löhle1 Kommentar

In der Ferienzeit stellen die Menschen ja gerne unschöne Wucherungen an ihrer Körpermitte fest. Man das nennt das zwar Happy-Fat und sagt das sei normal wenn die Lebensmitte überschritten ist, aber trotzdem reift in vielen der Entschluss zur Mäßigung und ganzheitlichen Revitalisierung. Dummerweise wählen manche den Sport als Beschleuniger auf dem Weg zur Freibadfigur. Das funktioniert allerdings nicht, wie das Beispiel unserer selbstverständlich existenten Testperson zeigt, die sich eine Woche kasteit hat.

Tag 1: Martin P. ermittelt sein Ausgangsgewicht und schlürft einen Teller Kräutersuppe, die er aus sündhaft teuren Zutaten aus dem Bioladen vor drei Tagen angesetzt hat und die seither grimmig stinkend vor sich hinköchelt. Die Suppe schmeckt ein wenig nach Kernseife mit altem Fisch und verursacht Blähungen, die aber laut Rezept der „erste Schritt zur inneren Ruhe“ sein sollen. Der Haushund Bruno wird allerdings nervös und wendet sich winselnd ab, als P. ihn aus Versehen anhaucht. Zum sportlichen Auftakt gibt es einen pulsorientierten Dauerlauf. 45 Minuten mit maximal 120 Herzfrequenz. Danach hat P. mächtig Hunger, isst aber nur noch einen Teller Suppe und geht stolz und traurig ins Bett. Der Hunger wird verschwinden, hat er gelesen.

Tag 2: P.s nagelneue Digitalwaage mit Mondphasenrechner zeigt 365 Gramm weniger. Unsere Testperson ist glücklich, steigt von Suppe auf viel Wasser und einen Apfel pro Tag um und joggt 45 Minuten – mit bis zu 150 Puls. Abends hat er Hunger.

Tag 3: „Sie sehen beschissen aus, sind Sie krank?“, fragt ein Nachbar. P. betrachtet sich ängstlich im Spiegel. Die Wampe quillt trotz 965,4 Gramm Gewichtsverlust weiter ungeniert über den Bund der Jogginghose „Elvis“, seine Wangen wirken allerdings ein wenig eingefallen, der Hals seltsam faltig, sein Magen knurrt. P. fährt vier Stunden Rennrad und gönnt sich danach einen halben Buchweizengrützling. Als der Hund gefüttert wird (grüner Pansen, Lammgekröse) kommen ihm die Tränen. P. nähert sich vorsichtig dem Napf. Bruno,  sonst sehr sanftmütig, knurrt.

Tag 4: In der Nacht träumt P. von einer stämmigen Ukrainerin mit Frankfurter Würstchen als Ohrringen, die ihn in seinem Sportstudio mit einem Klistier voller Diätsuppe verfolgt. Sie fängt ihn und verspeist vor seinen Augen ihren Ohrschmuck. P. hat jetzt fast 1,9 Kilo verloren, aber nur im Gesicht und an den Fußsohlen. Heute geht es ins Freibad. 40 Bahnen à 50 Meter. Hinterher verschlingt er aus einem achtlos zerknüllten Pappteller ein verbranntes Pommes.

Tag 5: Fatburning durch Nordic Walking. Geplagt von Mordfantasien gegen arglose Eichhörnchen (rein in den Mixer, Deckel drauf, fritzzzzzl) stöckelt P. durch den Forst. Er fühlt sich schwach, sein Magengrimmen vertreibt ein paar Bachen.

Tag 6: Der Gürtel der Jeans geht ein Loch weiter zu – P. jubelt, dabei reißt hinten die Naht. Im Spiegel sieht P. einen hohlwangigen Irren. Die Nachbarn tuscheln, P. versteht die Wörter „Burnout“ und „Aids“.

Finale: 3,275 Kilo verloren, dazu seinen frischen Teint, aber kaum etwas am Bauch. Im Sportstudio rät ihm Trainer Kevin, noch eine Woche Powerworkoutstyle dranzuhängen, dann würde es schon. P. randaliert, verschlingt kreischend vier Powerriegel und muss sich in die Bizepsmaschine übergeben. Hoffentlich ist bald Herbst.

 

 

Gemeinsam radeln im Urlaub – obacht!

Juli 30, 2014, Jürgen Löhle0 Kommentare

Zur Urlaubzeit also aus gegebenen Anlass eine Brägel-Kolumne aus „Tour“ aus dem Jahr 2013   

Es ist wieder Urlaubszeit, das heißt, jetzt fahren auch wieder Menschen zusammen Rad, die dies sonst übers Jahr tunlichst vermeiden, schon um des lieben häuslichen Friedens willen. Denn eines ist klar- beim Paarradeln sind derart viele Fallen eingebaut, dass so mancher Urlaubsabend danach mit eisigem Abstand und einsamen Lesen eines 1400-Seiten-Romans endet und nicht harmonisch mit Vino, launiger Konversation, Händchenhalten und gemeinsamen Meerblick.

Brägel hat in vielen, vielen Jahren so ziemlich alles falsch gemacht, was man in puncto Urlaubsradeln falsch machen kann. Da er aber zum Glück ein für seine Verhältnisse erstaunlich präzises Gedächtnis hat, kann er dem Club eine Einführung in die vermeidbarsten Fehler geben.  „Das fängt schon bei der Wahl des Ortes an“, erklärt er am Stammtisch. Was er meint? Frauen haben ein so genanntes Achwieschön-Gen, das bedeutet, sie bevorzugen Regionen, die Ausblicke ermöglichen. Hügelige Landschaften oder gar Steilküsten mögen zwar optisch reizvoll sein, aktivieren durch ihre Topographie aber wiederum das männliche Kampfradel-Gen. Und das heißt, Männer wie Brägel versuchen auch im Urlaub an Anstiegen jeden anderen im Sattel final zu zersägen. Dabei wird natürlich auch gegen die eigene Gattin getreten, als sei sie der Lieblingsgegner bei der normalen Samstagsausfahrt im Club. „Da kann man nix machen“, jault Brägel, „wenn es hoch geht, schaltet der Kopf ab.“ Wenn er denn je an war, möchte man meinen, aber gut. Oben wartet dann der Herr des Hauses mit dem Fotoapparat  im Anschlag und einem gönnerhaften „Hep, Hep, Mausi“, was bei „Mausi“  Mordfantasien auslöst, zumal sie mit rotem Kopf und Helm nicht fotografiert werden will. Brägel weiß das seit Jahren, kümmert sich aber nie darum. Das ganze schafft auch bei 32 Grad eine eisige Atmosphäre, die Brägel aber noch toppt, wenn er bei der Pause hartleibig „Zwei Expresso“ ordert, obwohl ihm Viola schon eine Million Mal erklärt hat, dass es „Due Espressi“ heißt, also ohne x, mit i und mit due. Brägel sagt dann gerne: „Wer zahlt, schafft an, gell!“ Die Folge: Statt sich auf ein Romantikdiner am Abend zu freuen, besorgt sich Viola  einen zweiten Historienschinken.

Platte Urlaubsregionen sind auch nicht unbedingt beziehungsfreundlicher, da Brägel zwar in der Ebene durchaus auch mal einfach mit seiner Partnerin dahinrollen kann, sich in seiner heroischen Selbstaufgabe aber nicht entscheiden kann, wer denn nun am besten vorne fährt? Dafür kann er aber ausnahmsweise nix, denn beides ist potentiell konfliktfähig. Schickt er Viola mit den Worten „Fahr du einfach so schnell du möchtest, ich rolle hinterher“, an die Spitze, stellt er sie auch in den Wind, der in südlichen Ebenen im Sommer oftmals recht brachial pfeift. Spannt sich Brägel selbst an die Spitze entsteht schnell eine ungute Melange. Sie stört sein ständiges „Passt das Tempo denn?“-Gesabbel,  er verrenkt sich fast den Halswirbel, weil er sich dauernd umdrehen muss, weil sie einfach nicht mehr antworten will. Nebeneinander fahren ist auch keine Lösung, weil dies in etlichen großen Urlaubsregionen eher heikel ist.  Italien, Frankreich und Spanien  mögen große Radnationen sein, aber bis zu den Autofahreren hat sich das noch nicht so richtig rumgesprochen.   Wer innen fährt läuft also Gefahr, den Urlaub im Krankenhaus zu beenden. Wenn er Glück hat.

Als harmoniestörend  im Urlaub hat sich bei Brägels auch herausgestellt, dass der Lapp eigentlich schon vor der Abfahrt die Radeltage, die Touren und die angestrebten Kilometer festgezurrt hat. Änderungen am Plan sind nur durch Erdbeben, Hagelschlag oder schwere Knochenbrüche möglich.  Viola versteht dagegen unter Urlaub etwas, bei dem man sich treiben lässt und ganz spontan entscheidet. Da Brägel allerdings die Spontaneität einer Baggerschaufel hat, kann er damit nichts anfangen. Im Gegenteil: Wird am dritten Tag nicht die 82er Runde gefahren, kauft er sich ein dreibändiges Kompendium über seltene Gräser in der Provence und liest sich beleidigt darin fest.

„Aber Männer“, sagt er am Ende am Stammtisch, „es gibt die Lösung. Wir fahren zwar zusammen in den Urlaub, aber da schon seit Jahren nicht mehr zusammen Rad, sonst wären wir schon lange getrennt.“ Ganz schön vernünftig von Brägel. Ausnahmsweise.

Eine Bilanz der Tour 2014

Juli 28, 2014, Jürgen Löhle0 Kommentare

Es ist nicht lange her, da hat man sich selbst als Freund des Radsports bei Bergetappen der Tour de France entsetzt abgewandt. Was für eine Mutanten-Show. Sprints bei über zehn  Prozent Steigung, erschöpfungsloses Gipfelstürmen, Wattzahlen jenseits des Vorstellbaren. Es war widerlich. Diese Tour jetzt sah anders aus – bis auf eine Ausnahme. Der Sieger Vincenzo Nibali erinnerte mit seiner Dominanz in den Bergen an diese Zeit. Mühelos und fast ohne Anzeichen einer Erschöpfung kontrollierte er seine Gegner. Der Italiener fuhr wie einer aus einer alten Welt – aber es wäre unfair, ihn da auch in Sachen  Doping zu verorten. Vielleicht ist er schlicht so stark, auf jeden Fall zählte Nibali  schon vorher zu den großen  Favoriten.

Das hat der 29jährige Sizilianer bestätigt, allerdings als Kapitän der Mannschaft Astana, die mit dem Fachdoper Alexander Winokurow an der Spitze einen fragwürdigen Ruf hat und mit aller Vorsicht zu genießen ist. Alles was sich aber hinter Nibali abspielte, sah dagegen von der Leistung her betrachtet nachvollziehbar aus. Profis, die einen Tag schnell waren, verloren bei der nächsten  Etappe Zeit. Wer zu früh attackierte, wie einmal Thibaut Pinot, brach ein. Andere die abgehängt wurden,  wie einmal Alejandro Valverde, kamen zähnefletschend und rackernd doch wieder zurück. Zu Epo-Hochzeiten stürmten die Spitzenleute mit ihren Helfern mit geschlossenen Mündern wie ein ICE die Rampen hoch – so was sieht man nicht mehr.

Die Profis scheinen jetzt eher mit ihren Kräften hauszuhalten als mit Spritzen. Die Szene ist zumindest von der Anmutung sauberer geworden. Bestärkt wird das durch den Fakt, dass trotz harter Kontrollen wie schon 2013 kein positiver Test bekannt wurde. Bei aller berechtigter Skepsis, was das zu bedeuten hat, ist der Sport aber wohl doch zumindest auf einem besseren Weg.

Das gilt auch für den deutschen Radsport, für den diese Tour deutlich erfolgreicher war als das Ansehen im eigenen Land. Vier Etappensiege durch den Sprinter Marcel Kittel, zwei Erfolge von Tony Martin und ein Sieg von André Greipel – exakt ein Drittel der Etappen gingen an Sportler aus Deutschland, dazu kommt noch ein Tag in Gelb durch Kittel und ein Tag im Bergtrikot durch den 42jährigen Jens Voigt, der gestern seine 17. Tour beendete. So viele haben bisher nur der Australier Stuart O‘Grady und George Hincapie (USA) geschafft. Mehr keiner.

Die deutschen Erfolge waren zudem Siege in allen Terrains: Im Sprint durch Kittel und Greipel, in den Bergen und im Zeitfahren durch Martin. Mehr geht nicht für ein Land, das keinen einzigen großen Rennstalls mehr besitzt. Dafür war der Auftritt des  Zweitligisten Net App Endura aus dem bayerischen Raubling wirklich bemerkenswert. Das nur mit einer Wildcard zugelassene Team, das maximal 25 Prozent der finanziellen Möglichkeiten eines World Tour Teams hat, beendete die drei härtesten Wochen im Radsport in der Mannschaftswertung auf Platz 13 von 22 Teams. Und das beim Debüt. Dazu hatten sie einen der Aufsteiger der Tour in ihren Reihen. Der Tscheche Leopold König (26) fuhr in seiner ersten Tour de France auf Platz sieben. Das ist auch ein Fingerzeig, dass ein  deutsches Team den Job auf Weltmaßstab schultern kann. 2015 wird die Mannschaft von Manager Ralph Denk auch noch einen deutschen Hauptsponsor bekommen. Das Team Bora, wie es dann heißt, wird allerdings zweitklassig bleiben – mehr ist für das junge Unternehmen schlicht nicht finanzierbar.

Aber vielleicht findet nach dieser Tour der Radsport in Deutschland wieder mehr Freunde – und Geldgeber. Diese Tour war ja auch so etwas wie die Wiedergeburt des französischen Radsports. Vielleicht wird die Tour 2015 die Wiedergeburt des deutschen, was ein großes Team betrifft. Verdient hätte es die Szene um die jungen Etappensieger allemal.

 

Böse Menschen kommen nicht im Fernsehen

Juli 23, 2014, Jürgen Löhle0 Kommentare

Gerade läuft wieder die Tour de France – aber wie erklärt man einem Kind, dass der Zehennagel eines Drittligaklickers im Fernsehen wichtiger ist als das größte Radrennen der Welt?   

Neulich lief ich mit Freunden und deren Kindern spazieren, als uns ein eine Trainingsgruppe Rennradler begegnete. „Papa, was machen die da?“, fragte der Sohn meines Kumpels. Als Experte übernahm ich die Antwort. Ich erklärte, dass es sich hierbei um Sportler handle, die auf Fahrrädern gegeneinander Rennen fahren würden. Ich erklärte weiter, dass dies einst ein Sport war, dem viele Menschen in Deutschland begeistert zugeschaut hätten und dass es einmal im Jahr, im Juli, ein gewaltiges Rennen quer durch Frankreich gäbe, das Millionen in seinen Bann ziehen würde. „Schauen wir uns mal ein Radrennen im Fernsehen an“, sagte darauf der Kleine und ich begann zu weinen.

Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, erklärte ich, dass im deutschen  Fernsehalltag selbst ein Bericht über einen eingewachsenen Fußnagel eines Aktiven in der dritten Fußballiga mehr Gewicht hätte, als eine Weltmeisterschaft der Radfahrer. Oder die Tour de France. Und ich fügte hinzu, dass dies oft auch für andere Sportarten wie Ringen, Fechten, Judo, Turnen, Tischtennis, Volleyball  und vielen, vielen anderen gelte. Nachdem mich das Kind bei manchen Disziplinen anschaute, als redete ich von höherer Mathematik, beschloss ich künftig an Wochenenden mit ihm und seinen Eltern zu Sportveranstaltungen zu gehen. So wie man früher Großstadtkinder einen Bauernhof auf dem Land zeigte, damit sie sahen, dass die Schnitzel mal laufen konnten.

„Und warum zeigt das Fernsehen keinen Sport“,  fragt das Kind. Ich erkläre, dass dies ja nicht so sei, dass es genug Bilder vom Fußball (Erste Liga, Zweite Liga, Dritte Liga, Regionalliga, Pokal, Europapokal, Länderspiele, Test-, Vorbereitungs-, Abschieds-, Benefiz- und sonstige Freundschaftsspiele),  vom Motorsport mit vier Rädern, vom Motorsport mit zwei Rädern und von Holzfäller-Weltmeisterschaften gäbe und die anderen Sportarten ja alle vier Jahre bei Olympia dran wären. Schwimmen und Leichtathletik sogar alle zwei Jahre, bei Weltmeisterschaften.

„OK“, sagt der Kleine, „aber warum sieht man keine Radrennen?“ Ich erkläre ihm, dass Radfahrer böse Menschen sind, weil sie ganz viele verbotene Medikamente schlucken würden und das sei nicht fair. „Nehmen Fußballer keine Medikamente?“, fragt das Kind. Wahrscheinlich ein paar weniger, antworte ich, aber das will sowieso keiner wissen. „Warum?“ Weil Fußball Fußball ist und dann – und dann fällt mir nichts mehr ein. Das Kind fragt dann noch, ob Turner, Ringer und all die anderen auch böse sind, weil sie kaum im Fernsehen kommen. Ich nötige den Vater dem Balg ein Eis zu kaufen, damit endlich Ruhe ist.

Offenbar ist das Kind mit der Erklärung der modernen TV-Realität zufrieden. Als die Radler ein zweites Mal vorbeikommen, senkt es den eisverschmierten Daumen und buht. Ich könnte schon wieder heulen.