Jürgen

Löhle

Freier Journalist


Normale Härte

Je älter man wird, desto weniger wundert man sich über den Wahnsinn, der um einen herum tobt. Trotzdem bleiben genug Geschichten und Begebenheiten die man noch ein bisschen einordnen oder zuspitzen kann – am besten in einem Blog.

Eine Bilanz der Tour 2014

Juli 28, 2014Jürgen Löhle0 Kommentare

Es ist nicht lange her, da hat man sich selbst als Freund des Radsports bei Bergetappen der Tour de France entsetzt abgewandt. Was für eine Mutanten-Show. Sprints bei über zehn  Prozent Steigung, erschöpfungsloses Gipfelstürmen, Wattzahlen jenseits des Vorstellbaren. Es war widerlich. Diese Tour jetzt sah anders aus – bis auf eine Ausnahme. Der Sieger Vincenzo Nibali erinnerte mit seiner Dominanz in den Bergen an diese Zeit. Mühelos und fast ohne Anzeichen einer Erschöpfung kontrollierte er seine Gegner. Der Italiener fuhr wie einer aus einer alten Welt – aber es wäre unfair, ihn da auch in Sachen  Doping zu verorten. Vielleicht ist er schlicht so stark, auf jeden Fall zählte Nibali  schon vorher zu den großen  Favoriten.

Das hat der 29jährige Sizilianer bestätigt, allerdings als Kapitän der Mannschaft Astana, die mit dem Fachdoper Alexander Winokurow an der Spitze einen fragwürdigen Ruf hat und mit aller Vorsicht zu genießen ist. Alles was sich aber hinter Nibali abspielte, sah dagegen von der Leistung her betrachtet nachvollziehbar aus. Profis, die einen Tag schnell waren, verloren bei der nächsten  Etappe Zeit. Wer zu früh attackierte, wie einmal Thibaut Pinot, brach ein. Andere die abgehängt wurden,  wie einmal Alejandro Valverde, kamen zähnefletschend und rackernd doch wieder zurück. Zu Epo-Hochzeiten stürmten die Spitzenleute mit ihren Helfern mit geschlossenen Mündern wie ein ICE die Rampen hoch – so was sieht man nicht mehr.

Die Profis scheinen jetzt eher mit ihren Kräften hauszuhalten als mit Spritzen. Die Szene ist zumindest von der Anmutung sauberer geworden. Bestärkt wird das durch den Fakt, dass trotz harter Kontrollen wie schon 2013 kein positiver Test bekannt wurde. Bei aller berechtigter Skepsis, was das zu bedeuten hat, ist der Sport aber wohl doch zumindest auf einem besseren Weg.

Das gilt auch für den deutschen Radsport, für den diese Tour deutlich erfolgreicher war als das Ansehen im eigenen Land. Vier Etappensiege durch den Sprinter Marcel Kittel, zwei Erfolge von Tony Martin und ein Sieg von André Greipel – exakt ein Drittel der Etappen gingen an Sportler aus Deutschland, dazu kommt noch ein Tag in Gelb durch Kittel und ein Tag im Bergtrikot durch den 42jährigen Jens Voigt, der gestern seine 17. Tour beendete. So viele haben bisher nur der Australier Stuart O‘Grady und George Hincapie (USA) geschafft. Mehr keiner.

Die deutschen Erfolge waren zudem Siege in allen Terrains: Im Sprint durch Kittel und Greipel, in den Bergen und im Zeitfahren durch Martin. Mehr geht nicht für ein Land, das keinen einzigen großen Rennstalls mehr besitzt. Dafür war der Auftritt des  Zweitligisten Net App Endura aus dem bayerischen Raubling wirklich bemerkenswert. Das nur mit einer Wildcard zugelassene Team, das maximal 25 Prozent der finanziellen Möglichkeiten eines World Tour Teams hat, beendete die drei härtesten Wochen im Radsport in der Mannschaftswertung auf Platz 13 von 22 Teams. Und das beim Debüt. Dazu hatten sie einen der Aufsteiger der Tour in ihren Reihen. Der Tscheche Leopold König (26) fuhr in seiner ersten Tour de France auf Platz sieben. Das ist auch ein Fingerzeig, dass ein  deutsches Team den Job auf Weltmaßstab schultern kann. 2015 wird die Mannschaft von Manager Ralph Denk auch noch einen deutschen Hauptsponsor bekommen. Das Team Bora, wie es dann heißt, wird allerdings zweitklassig bleiben – mehr ist für das junge Unternehmen schlicht nicht finanzierbar.

Aber vielleicht findet nach dieser Tour der Radsport in Deutschland wieder mehr Freunde – und Geldgeber. Diese Tour war ja auch so etwas wie die Wiedergeburt des französischen Radsports. Vielleicht wird die Tour 2015 die Wiedergeburt des deutschen, was ein großes Team betrifft. Verdient hätte es die Szene um die jungen Etappensieger allemal.