Jürgen

Löhle

Freier Journalist


Normale Härte

Je älter man wird, desto weniger wundert man sich über den Wahnsinn, der um einen herum tobt. Trotzdem bleiben genug Geschichten und Begebenheiten die man noch ein bisschen einordnen oder zuspitzen kann – am besten in einem Blog.

Ein Mann gegen Barcelona

Mai 6, 2015Jürgen Löhle0 Kommentare

Vier Tore zu Hause hat der FC Barcelona international noch nie gefangen. Außer gegen Toni Kurbos. Der ehemalige Zweitligaprofi der Stuttgarter Kickers landete 1984 mit dem FC Metz in Nou Camp das ganz große Ding.

Zu klein sei er, zu schmächtig, nicht so richtig der Mann für die Härte der zweiten Bundesliga. Das war das Urteil von Slobodan Cendic, Trainer der Stuttgarter Kickers in der Saison 1980/81, über den 22-jährigen Rechtsaußen Zvonko Kurbos, den alle nur Toni nannten. 21 Spiele hatte das Kickers-Urgewächs in der zweiten Liga gemacht, zwei Tore erzielt, aber halten wollten sie den 1,70 Meter großen und 63 Kilo leichten Deutsch-Slowenen nicht. Dabei war der schon als 12-Jähriger nach Degerloch gekommen und mit den Kickers 1979 an der Seite von Guido Buchwald Deutscher A-Jugend-Meister geworden. Cendic interessierte das alles nicht. Kurbos sollte weg und Toni ging.

Zunächst nach Belgien zum SK Tongeren dann 1982 zum FC Metz in die erste französische Liga. In Lothringen ging es steil aufwärts mit dem kleinen Flügelflitzer. Kurbos traf und traf, gegen Nîmes sogar sechs Mal in einem Spiel, bis heute Ligarekord en France. Man nannte ihn den französischen Littbarski, Toni Kurbos ließ es weiter ordentlich krachen und spielte auch international für seinen Arbeitgeber. Und dabei kam es dann am 3. Oktober 1984 zu einem denkwürdigen Spiel im Stadion Nou Camp in Barcelona.

Eigentlich war die Sache schon gelaufen. Der glorreiche FC Barcelona hatte das Hinspiel in der ersten Runde im Europapokal der Pokalsieger in Metz 4:2 gewonnen, das Rückspiel wollten nur noch 15 000 Zuschauer sehen, eine Minuskulisse. Normal pilgern selbst bei Routinesiegen in der Liga mindestens 80 000 ins Nou Camp. Und als dann die Mannschaft von Trainer Terry Venables nach 35 Minuten durch Carasco 1:0 in Führung ging, breitete sich gepflegte Langeweile auf den Rängen aus. Aber nur kurz – denn dann kam Toni. Kurbos schoss den Ausgleich und provozierte noch vor der Halbzeit mit einer scharfen Hereingabe von rechts ein Eigentor der Katalanen. Nach der Pause erhöhte er auf 3:1 und hämmerte vier Minuten vor Schluss aus sieben Metern den Ball in den linken oberen Winkel. 4:1 für Metz, Barça war draußen. Das Team um Bernd Schuster und den Schotten Steve Archibald wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah, der Fußball hatte wieder eine seiner großen Geschichten und die Sportzeitung L’Equipe schrieb über das „Wunder von Barcelona.“ So etwas Ähnliches war es wohl auch – bis heute haben die Katalanen international zu Hause keine vier Tore mehr kassiert.

Nach dem Abpfiff wurde Kurbos von den Journalisten gekeilt, sein Team saß schon im Bus, während er noch nicht einmal geduscht war. Und Zeit für Bernd Schuster hatte er auch keine. Dabei wollte Kurbos doch unbedingt dessen Trikot haben – aber daraus wurde nichts, der blonde Engel war geknickt. „Der ist sauer an mit vorbeigerauscht“, erinnert sich Kurbos. Dagegen stand der wuselige Stürmer aus dem Schwäbischen im Brennpunkt. Nach dem Spiel interessierten sich viele Vereine für den kleinen Mann mit dem kühnen Schnauzer. Kurbos gab aber über die „Stuttgarter Zeitung“ seine ganz eigene Bewerbung ab. „Zum VfB Stuttgart würde ich auch zu Fuß laufen“, sagte er damals dem Blatt. Aus Cannstatt hat er freilich nie etwas gehört.

Toni Kurbos blieb in Frankreich, spielte bis 1992 in verschiedenen Vereinen, darunter auch bei den Top-Clubs in Nizza und Monaco und zuletzt im französischen Übersee-Departement La Réunion, eine Insel im Indischen Ozean. 1992 schnürte er dann noch mal für den Leonberger Stadtteilclub TSV Eltingen in der Verbandsliga die Kickstiefel, später arbeitet er dort bis 1996 als Trainer. Seit 1998 lebt Kurbos in Vence bei Nizza, hat einen französischen Pass und handelt mit Luxusautos. Fußball spielt der 55-Jährige auch noch – in der Traditionself des AS Monaco. Und in Frankreich sind seine vier Tore noch präsent. „Immer wenn ein französisches Team gegen Barça spielt, steht bei mir das Fernsehen vor der Tür“, erzählt er. Zuletzt wieder „acht TV-Teams“ (Kurbos) vor dem Viertelfinale zwischen Paris Saint-Germains und Barcelona. Ob Pep Guardiolas Faible für kleine, wendige Spieler aber mit Kurbos‘ Auftritt im Nou Camp zu hat, ist nicht bekannt. 1984 war der damals 13-Jährige heutige Bayern-Trainer aber schon in Barcelonas Jugendakademie. Vielleicht hat er Turbo-Toni ja gesehen?

Ein paar Monate nach dem 1:4 war Barça aber wieder obenauf. Am Ende der Saison wurde die Katalanen nach elf Jahren wieder mal nationaler Meister, Metz schied dagegen in der nächsten Runde des Europapokals aus – gegen Dynamo Dresden.